Ein Business-Reisebericht
Am 17.März hatte ich die Ehre, ein Management Retreat eines Kunden von mir in Indien als Graphic Recorderin zu begleiten. Es ging um Strategie, das operative Geschäft und Teamkultur im Sinne eines High Performance Teams.
Für 6 Tage reiste ich dafür nach Bangalore, dem Silicon Valley und der fortschrittlichsten Stadt Indiens mit 12-14 Mio Einwohnern. So genau weiß man es nicht. Schon das dritte Mal durfte ich Tage international zeichnen! Doch dieses Mal war sehr besonders.
In diesem Artikel teile ich meine Erfahrungen einer anderen Kultur, meine Herausforderungen und Learnings als auch die ein oder andere lustige Anekdote mit dir. Ich nehme dich mit auf die Reise in meine kreative Welt.
Gleich auf der Fahrt vom Airport zum Hotel (mitten in der City, die übrigens sehr grün war) bekamen wir einen Eindruck vom Traffic. Aus 3 Fahrspuren werden schnell 4 oder 5, zwischendrin schlängeln sich Mopeds hindurch.
Unser Fahrer meinte: „Wenn du hier überleben willst brauchst du a good honk, a good break and good luck“ – Humor hatte er!
Mich hat der Verkehr aber nicht mehr so beeindruckt, da ich das aus Bangkok oder Bali bereits kenne…
Bei einer berührenden Welcome-Ceremony im Hotel durfte ich eine Kerze entzünden, während spirituelle Musik im Hintergrund lief.
Doch danach wollte ich nur noch ins Bett, um später noch den Raum zu besichtigen und meine Materialien zu richten.
Am Folgetag sollte das Retreat um 8.30 Uhr starten. Insgesamt warteten 5 Tage konzentrierten Zuhörens, Filterns und Zeichnens auf mich.
Meine Learnings
#1 Immer schön flexibel bleiben
Statt starr am Plan festzuhalten und vermeintlich die Kontrolle zu behalten, war mein Improvisationstalent einige Male auf dieser Reise gefragt.
Da ich meine Graphic Wall nicht mitnehmen konnte, habe ich mir Pinwände bestellt. Kennt man aus Deutschland auch als Metaplanwand. Sie haben eine Zeichenfläche von ~ 120×150 cm.
Ich hatte mir überlegt, einfach 3 aneinander zu stellen und darauf dann jeden Tag in großem Format 1 (!) Bild zu zeichnen. Darauf ausgerichtet hatte ich in der Vorbereitung themengerechte Layouts für jeden Tag skizziert, die ich umsetzen wollte.
Leider fand ich vor Ort dann etwas ganz anderes.
Im Hotel gab es lediglich Pinwände, die auf recht instabilen Staffeleien standen, mit einer Größe von nur 118×87 cm. Also deutlich kleiner. Aneinander stellen klappte damit nicht. Sie hatten alle unterschiedliche Höhen und waren nicht verstellbar.
Also entschied ich mich einfach je Themenblock ein kleines Format zu nutzen. Zulasten meiner schönen großen Layouts mit der gemeinsamen Story.
International zeichnen hat seine Tücken. Doch letztlich hat es funktioniert.
In Deutschland hatte ich mir überlegt, das Graphic Recording in Indien besonders werden zu lassen und Acrylfarben zu benutzen, um einiges in den bunten Gewürzfarben Indiens zu gestalten.
Willst du wissen, wie viel Acrylfarbe ich benutzt habe? Keine!!
Warum? Irgendwie hatte ich zwar vorher eine Agenda bekommen, dennoch war dann vor Ort alles anders. Einerseits im Hinblick auf Umfang einzelner Themen und andererseits auf die Abfolge innerhalb eines Themas.
Insofern habe ich auf Bewährtes zurückgegriffen. Text und Visual statt artistischem Schischi… 😉
Oder warte… doch, ich hab schwarze Acrylfarbe genutzt. Wow!
Um den Bildern doch noch einen einheitlichen Look zu verpassen, habe ich mich für schwarze geometrische Formen als gestalterisches Elemente entschieden. Das war wiederum eine gute Idee, da sie einfach, überall leicht zu integrieren und gleichzeitig Eyecatcher sind.
Vorbereitung war dennoch wichtig. Denn für so ein Retreat mit internationalen Teilnehmenden habe ich mein englisches Hörverständnis trainiert – auch das mit indischem Akzent. Trotzdem hab ich einige Kollegen vor Ort nicht gut verstanden. Insofern durfte ich meinen Mut zur Lücke trainieren.
Zurück zu Hause habe ich mir vorgenommen, monatlich 2 TED Talks mit unterschiedlichen Akzenten zu recorden. Einfach als Übung.
P.S. Nicht zu vergessen bei internationalen Zeichnen -Einsätzen:
– Visum rechtzeitig beantragen!
– Notwendige Impfungen!
– Ein Buch zur Kultur und kulturellen Unterschieden im Business lesen!
Da ich die kompletten Recordings nicht zeigen darf, hier ein paar kreative Visuals, die entstanden sind:
#2 Achtsam sein – hier noch mehr
Gerade beim Arbeiten in fremden Umgebungen (was bei Graphic Recording und Leitbildern immer der Fall ist) erfordern ein besonderes Maß an Achtsamkeit bei mir.
Du kennst das vielleicht, wenn du unterwegs bist und in fremden Hotelbetten nicht gut schläfst.
In Indien kam dazu, dass ich super penibel drauf achten musste, was ich esse. Denn nichts wäre schlechter, als mit Magen-Darm im Bett bleiben zu müssen und nicht arbeiten zu können.
Insofern habe ich auf alles Rohe verzichtet und jedes Deko-Salatblatt aussortiert. Auch Eiswürfel habe ich mir erspart.
Beim Zähneputzen ist es mir am letzten Morgen passiert, dass ich wie selbstverständlich mit Wasser aus dem Hahn nachspülen wollte. Trinkwasser kommt da aber leider nicht raus… Gott sei dank hab ich es rechtzeitig bemerkt, ausgespuckt und mit Wasser aus der Flasche gründlich den Mund ausgespült.
Auch habe ich aufgepasst, dass mir die Klimaanlage nicht zu stark entgegenbläst. Auch eine Erkältung wäre unschön geworden.
4,5 Stunden Zeitunterschied haben mir dieses Mal nichts ausgemacht. Ich denke, das liegt an den wohl überlegten Flugzeiten. Also Hinflug so buchst, dass du spät abends dort bist und den Rückflug als Nachtflug buchst.
Mit all dem und natürlich auch der anderen Kultur bewegt man sich permanent etwas außerhalb der Komfortzone. Das bedeutet Stress und ist nicht nur mental, sondern auch für den Körper anstrengend. Insofern ist es wichtig, regelmäßig Pausen einzulegen und sorgsam mit sich selbst umzugehen.
Ist mir nicht so gut gelungen. Das Programm hatte es in sich und so habe ich es nicht geschafft, ausreichend zu trinken und zu entspannen. Irgendwie hatte ich gerade in den Pausen noch ne kreative Idee, die ich umsetzen wollte.
Bei einer Kollegin habe ich neulich gesehen, dass sie sich extra dafür einen Wecker auf dem Handy stellt. Keine schlechte Idee – mal sehen, ob das für mich klappt.
#3 Ich kann alles schaffen
Das war das anstrengendste Recording, was ich je hatte!
Täglich von 8.30-18 Uhr mit einer vollen Agenda zu zeichnen, bedeutet für mich, bereits geduscht und gefrühstückt um 7:45 Uhr im Konferenzraum zu sein, meine Pinwände mit Papier zu bespannen (was ich zunächst auf die indische Größe zuschneiden musste) und Marker nachzufüllen. Daneben muss ich mich mental und inhaltlich auf das Recording vorbereiten, schonmal die Überschrift anbringen, alle Stifte checken usw.
Ob 2 oder 10 Stunden Recording – Gott sei dank weiß ich, dass ich mich auf meine Konzentration verlassen kann. Da bin ich echt ein Tier 😊 Das hat dieses Mal auch gut funktioniert. Und am Tagesende, als alle weg waren, hab ich noch schnell die letzten Striche und Farben gesetzt, damit ich mit meinem Werk zufrieden war.
Bei bestimmten Themen habe ich mich deutlich mehr zu Hause gefühlt, andere fielen schwer. Insbesondere das operative Geschäft visuell einzufangen, war komplex. Nicht zuletzt, weil die KollegInnen einige Abkürzungen und Fachbegriffe nutzten und auch nicht jedes englische Wort (mit Akzent 😊) sofort verständlich war.
Das beeinträchtigt dann auch meine Kreativität etwas. Ich habe dann das Gefühl, dass mein Hirn nur noch analytisch unterwegs ist und keine Zeit mehr für coole Bildideen hat. Es schaltet um, auf das, was eh schon im Repertoire ist.
Im Flow war ich bei allen kulturellen, menschlichen Themen – also bei den 2 Teambuilding-Tagen. Fachlich merkte ich, dass ich einige Themen aus meiner Bankzeit kannte und die leicht fielen, wie bspw. Projektmanagement, Risk Management, Pricing und Standortpolitik. Da kommen dann auch wieder die Ideen leichter…
Definitiv darf ich bei allen Zahlen und Daten (Controlling und Market Share) noch lernen. Aber vielleicht ist da meine linke Gehirnhälfte einfach etwas klein geraten 😉
Insofern war ich sehr glücklich, dass ich das gemeistert habe. Ich habe meinem Körper für diese Fähigkeiten der Konzentration und gleichzeitiger Kreativität gedankt.
Nach der Erfahrung weiß ich: ich kann alles schaffen!
Trotzdem habe ich kurz überlegt den Job zu wechseln und künftig lieber Tuktuk zu fahren 😉
#4 Visualisierung bringt echten Mehrwert
Am letzten Tag fand eine Werksbesichtigung und Guided Tour statt. Zwei indische Kollegen führten uns durch eine echte Premium Fabrik (ich darf dazu nicht mehr sagen… Diskretion…).
Ich habe mit einem besonderen Blick für Details darauf geschaut, um später davon und vom weiteren Programm vor Ort ein Recording zu machen.
Schon am Morgen haben wir dafür in der Fabrik einen Marktplatz mit meinen Zeichnungen aus den Jahren 2022 und 2023 plus der beim Retreat entstandenen Werke aufgebaut.
In Kleingruppen wurde über die Inhalte reflektiert und diskutiert und wurden so die ausländischen KollegInnen abgeholt.
Wie wunderbar, wenn meine Visualisierungen überdauern und nicht nur im Moment des Zeichnens, sondern darüber hinaus genutzt werden. Mein Kunde berichtete mir, dass bestimmte Sachen im deutschen Werk aufgehangen wurden und neuen Mitarbeitende oder Kunden das WARUM/ WIE/WAS daran erklärt wird.
Die indischen Kollegen waren besonders fasziniert und brachten das mir gegenüber mehrfach und sehr wertschätzend zum Ausdruck. Manchmal so oft, dass ich dachte, das ist jetzt viel zu viel des Lobes. Dabei konnte ich es förmlich tief im Inneren fühlen, so wie die Menschen mir in die Augen geschaut und wie sie die Worte gewählt haben.
Inzwischen haben alle meine Zeichnungen auch den Weg nach Mexiko angetreten und werden auch dort für die Weiterentwicklung im Business und der Teamkultur genutzt.
P.S. Irgendwie war ich die einzige mit blonden Haaren und größer als alle anderen 😊
P.P.S. Den Punkt auf die Stirn bekommt jede/r im Rahmen einer Welcome-Zeremonie. Es hat also nichts mit verheiratet/ unverheiratet zu tun, wie man landläufig meint.
#5 Servicekultur Indien: Mein Comic wird in Nullkommanix gedruckt
(Einige Teile des Bildes wurden entfernt; Diskretionsgründe)
Als Dankeschön ist für den indischen Manager habe ich einen Comic gestaltet. Hierfür hatte ich zuvor von allen Teilnehmenden Anekdoten und O-Töne eingesammelt und dann im Pop-Art Stil digital gezeichnet.
Das Bild sollte aber nicht als Datei übergeben werden, sondern als Druck.
Da ich schon öfter in Asien war, war ich mir sicher, dass das kein Problem werden wird. Ich ging also zur Hotelrezeption und fragte den Concierge um Hilfe.
Sehr freundlich schlug er mir gleich zwei Optionen vor und meinte, dass er das schnell organisieren könne. Ich nannte ihm die Maße für den Druck und suchte auf seinem Handy einen schönen traditionellen Rahmen aus.
3 Stunden später war alles fix und fertig. Das ist Premium Service oder?
Ich fragte mich, wie sowas wohl in einem deutschen Hotel gelaufen wäre. Wahrscheinlich hätte mir die Rezeption geraten, doch im Internet mal nach Druckereien zu suchen und dann dorthin zu fahren. Die Druckerei hätte mir ggf. gesagt, dass ich es morgen abholen kann. Für den Rahmen hätte ich wahrscheinlich noch zu IKEA fahren müssen 😊
Im Hotel vor Ort waren übrigens alle Mitarbeitenden sehr serviceorientiert. Sobald sie mich aus dem Zimmer kommen sahen, boten sie mir Hilfe an beim Tragen etc. „That’s what I’m here for, Madame.“ Sie hatten immer ein Lächeln. Auch wenn ich oft nachfragen musste, was sie mich gerade gefragt haben.
Kleine Sprach-Anekdote:
Am letzten Tag musste ich im Tagungsraum mein Material ausräumen und verpacken. Da kam ein indischer Mitarbeiter herein und fragte mich: „Ju wan patti?“
Ich: Could you repeat please? Er: „Patti???“ Und ich „I don’t know what you mean“, bis ich dann die vergessenen Lautsprecher auf den Boden sah.
Nein, ich wollte noch keine Party machen 😉
Zurück in Deutschland habe ich dann alle Recordings digitalisiert, denn einiges davon tritt in Kürze die Reise nach Mexico an, einem weiteren Standort meines Kunden.
Wer meinen vorigen Newsletter gelesen hat, weiß, dass ich nicht gleich Hurra geschrieen habe, als dieser Auftrag hereinkam. Ich habe mich also sehr bewusst auf dieses Abenteuer eingelassen und bin letztlich froh, ein Teil des Kundenteams gewesen zu sein und mich um einige Erfahrungen reicher weiterentwickelt habe.
Hat dir meine Geschichte gefallen? Welche Erfahrungen hast du bei Auslandseinsätzen gesammelt? Schreib gerne in die Kommentare.
2 Comments
Oliver Wels · 22. April 2024 at 23:06
What a wonderful story – Peggy – it is amazing to live through the common journey again – with your words and your eyes… You have indeed been a bit reluctant at the beginning of the idea having you with us on our retreat. My team and me are very happy that you had taken the decision being with us – now for so many times already… you may write – better paint – a book about us and what we love doing as a team… thanks again for your dedication and professionalism… warm regards – Oliver
Peggy N. · 23. April 2024 at 10:47
Thank you for your appreciation and the wonderful comment. It was a honor for me attending you as a High Performance Team.